Wohin ich immer gehe

Johannes hatte einen wiederkehrenden Traum. Er träumte, dass sie ihn im Wasser erschossen. Dass sie ihn trafen, während er untergetaucht war, und er nicht mehr genug Kraft hatte, an die Oberfläche zurückzuschwimmen. In dem Moment, als sich die Kugel in seinen Rücken bohrte, wusste er, dass er sterben würde. Er spürte ein Stechen zwischen den Schulterblättern und bog sich nach hinten. Öffnete den Mund, atmete Wasser ein, dachte, ich sterbe, und wachte auf. Nichts an dem Traum, weder der Schmerz, der danach seltsam wirklich nachhallte, noch das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, ängstigte ihn so wie dieser letzte Gedanke, bevor er hochschreckte: Ich sterbe.

Inzwischen hat Johannes ein neues Leben: eine eigene Wohnung, einen Job und Giulia, eine Kollegin, deren Familie ihm die seine ersetzt. Nur was aus David geworden ist, weiß er nicht. Dabei wollten die beiden doch gemeinsam gehen, und gehen heißt: ihr Land verlassen, aus Ceaușescus Rumänien fliehen, ihren Familien den Rücken kehren. Um die Donau durchschwimmen zu können, haben sie beide einen drückend heißen Sommer lang trainiert, und was dabei zwischen ihnen vorgefallen ist, ist ein weiteres Geheimnis, das sie teilen. Doch irgendwann war David verschwunden, und Johannes ist ohne ihn gegangen, um neu anzufangen. Bis ihn eines Tages die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht und ihn zur Rückkehr zwingt. Die Gelegenheit, sich endgültig zu verabschieden, wird für Johannes zugleich eine Chance, noch einmal nach David zu suchen.

Mit großer Ruhe, eindringlich und berührend, dabei klar und souverän erzählt Nadine Schneider von den kleinen Erschütterungen der großen Geschichte und den feinen Rissen, die sie in den Biografien von Menschen hinterlässt. Menschen, die auf unsicherem Grund stehen, weil ihre Geschichte an Orte zurückreicht, wo die Vergangenheit noch nicht vorbei ist.


Roman ⋅ Jung und Jung Verlag ⋅ 2021


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240 Seiten, gebunden, auch als e-book erhältlich


Coverfoto: Austin Quintana »Cohesion, hands«


Pressestimmen

»Wohin ich immer gehe« ist ein stiller, bewundernswerter Roman, das Gegenteil von hipper Zeitgeistliteratur. Nur wenige von Nadine Schneiders Generation vermögen so zu schreiben.
Gerhard Zeillinger, DER STANDARD

Es ist die Grunderfahrung derselben Generation wie in „Drei Kilometer“, nur eben deren anderer Hälfte, der geflohenen. Insofern ist „Wohin ich immer gehe“ ein denkbar aktueller Roman […] Wir haben das Glück, mit Herta Müller, Iris Wolff und nun Nadine Schneider gleich drei bemerkenswerte Autorinnen zu haben, die aus jeweils unterschiedlichen Lebensaltern und somit Erfahrungshorizonten auf dieses Thema blicken können.
Andreas Platthaus, FAZ

Nadine Schneiders Texte entfalten ihre Wucht auf unspektakuläre Weise. […] Wie fein ihr Sensorium für untergründige Verstörungen ist, beweist Schneider nun auch in ihrem zweiten Roman.
Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung

Nadine Schneiders neuer Roman [erzählt] sehr anschaulich vom Aufbrechen und Ankommen, vom sich fremd fühlen und langsam heimisch werden, von Freundschaft und Liebe, Verlust und Verrat und von schwer abschüttelbaren Familienbanden. Geschrieben in einer makellos-schönen, ruhig dahinfließenden Prosa.
Dirk Kruse, Bayerischer Rundfunk

Nichts wird einfach so dahererzählt, nichts passiert zufällig, und erst recht gibt es auf der Ebene der Wörter und Sätze keine Zufälligkeiten. Aber auch keine Banalitäten: Die Beschreibungen sind bis hinein in die Adjektive und die Vergleiche hochgradig individuell, man muss innehalten bei einzelnen Sätzen, die aus ihrem Kontext herausleuchten.
Cornelius Hell, Ö1 Ex Libris

Subtil und unaufgeregt leuchtet Schneider mit psychologischem Feingefühl den Prozess einer Entfremdung aus. Das Gehen wird zum herausfordernden Schnitt, die Ambivalenz bleibt.
Maria Renhardt, Die Furche

Ihre Sprache ist so gänzlich unaufgeregt, leise forschend, nachsinnend, ihr Stil ganz eigen, unverdorben, melodisch.
Bernd Noack, Nürnberger Nachrichten

In einfühlsamen Worten erzählt [Nadine Schneider] die Geschichte eines jungen Mannes, der Familie und Freund verloren, sich in seiner neuen Heimat eine Existenz aufgebaut und seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat ­– aber feststellen muss, dass man Familiengeheimnisse und die Vergangenheit nie so einfach abschütteln kann.
Antonia Barboric, Die Presse

Stimmen aus den Literaturblogs

Die Sprache ist so schön wie in ihrem Erstling, die Erzählung ruhig fließend, die Stimmung melancholisch. Eine ganz große Leseempfehlung!
Petra Reich, literaturreich.de

Mit großer Sprachgewandtheit und Sinn für das feine Dazwischen hat Nadine Schneider auch ihren zweiten Roman geschrieben.
Marina Büttner, literaturleuchtet.wordpress.com

Schneider schreibt präzise und kontrolliert, ihre Sätze sind irgendwie immer passgenau und wirklich schön, sie weiß, wie sie die Sprache einsetzen muss. Ich habe jede Seite genossen und das Buch sehr geliebt. Große Empfehlung!
Imke Weiter, The Female Reader

Nadine Schneider erzählt diese Geschichte so leichtfüßig, verknüpft Wörter, Sätze, Seiten, Szenen und Kapitel derart souverän, dass man als Leser*in am Ende den Eindruck hat: Diese Geschichte musste genau so und nicht anders erzählt werden.
Marlon, Books are gay as fuck

Mit einem feinen Gespür für Zwischentöne und sehr sprachsicher.
Mareike Fallwickl, buecherwurmloch.at

Nadine Schneider schreibt mit einem grossen Gefühl für die richtige Nähe zu ihrem Personal und der Deutlichkeit ihres Erzählens.
Gallus Frei-Tomic, literaturblatt.ch

Ein geschickt konstruierter Roman mit Tiefgang, handwerklich fein ausgearbeitet. Ein Genuss, diesen Roman zu lesen, Empfehlung!
Literaturblog Sabine Ibing